Faszination Waldbaden – Eintauchen in die heilende Kraft des Waldes
Eintauchen in die heilende Kraft des Waldes
Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Waldbaden? Woher stammt diese Praxis, wie wirkt sie auf Körper und Geist – und wie lässt sie sich ganz praktisch umsetzen? Drei interessante Menschen teilen ihre ganz persönliche Sicht auf das Waldbaden.
Von Marie Breitenbach
24.07.2025 - 11:14
Lesezeit: ca. 8 Minuten
Inhaltsverzeichnis
- Was Studien über Waldbaden zeigen
- Was bedeutet "Shinrin Yoku"
- Den Wald erleben – und weitergeben
- Annette Bernjus über das Waldbaden
- Der Duft des Waldes – eine natürliche Umarmung
- Sven Selbert über Naturverbundenheit und Achtsamkeit
- Waldbaden ganzjährig: Die wechselnden Gesichter des Waldes
- Orte und Angebote: Wo Waldbaden erlebbar wird
- Marina Hartmann über Waldbaden im Allgäu
- Was ich über das Waldbaden gelernt habe
Hast du diesen Begriff schon einmal gehört? Waldbaden? Wenn ich „Waldbaden“ höre, denke ich unwillkürlich an eine Badewanne mitten im Wald. Ich liege darin, umgeben von Farn und Vogelgezwitscher. Aber im Ernst: Für echtes Waldbaden brauchst du weder Wasser noch Badezusätze – nur dich selbst, einen Wald und etwas Zeit.
Mich hat dieser Gedanke nicht mehr losgelassen. Ich wollte wissen, was wirklich hinter dem Begriff steckt – und wie Menschen das Waldbaden ganz konkret erleben. Also habe ich mich mit drei spannenden Persönlichkeiten unterhalten, die mir von ihrer ganz eigenen Verbindung zum Wald erzählt haben: Annette Bernjus, die als Kursleiterin Menschen auf leisen Pfaden in die Stille begleitet, Sven Selbert vom NABU, für den der Wald zugleich Rückzugsort und Schutzraum ist und Marina Hartmann aus Oberreute im Allgäu, die mit ihrer Gemeinde ein Waldbaden-Areal geschaffen hat. Sie alle verbindet die Faszination für die heilsame Kraft des Waldes – und sie zeigen, wie Waldbaden im Alltag lebendig werden kann.
Waldbaden – eine stille Einladung an alle Sinne
Stell dir vor, du gehst langsam durch einen Wald. Der Boden federt sanft unter deinen Füßen, über dir tanzen Sonnenstrahlen im grünen Blätterdach. Du hörst das leise Rascheln der Blätter im Wind, das entfernte Klopfen eines Spechts, das eigene Atmen – und sonst nichts. Kein Termindruck, kein Lärm, kein Müssen. Nur du und der Wald.
In einer Welt, die sich immer schneller dreht, wird die Sehnsucht nach Stille, Natur und innerer Ruhe größer. Waldbaden – in Japan bekannt als Shinrin Yoku – bietet genau das: ein achtsames Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes, fernab von Alltagshektik und digitaler Reizüberflutung. Was als Gesundheitskonzept in Ostasien begann, hat längst seinen Weg in unsere Wälder gefunden und begeistert immer mehr Menschen, die auf der Suche nach Entschleunigung, Erdung und neuer Lebenskraft sind.
Was Studien über Waldbaden zeigen
- eine Senkung des Blutdrucks
- ein reduzierter Cortisolspiegel (Stresshormon)
- eine verbesserte Herzfrequenzvariabilität (Hinweis auf bessere Stressregulation)
- eine gesteigerte Aktivität der natürlichen Killerzellen (Teil des Immunsystems)
- eine verbesserte Konzentration
- gesteigerte Kreativität
Waldbaden ist keine medizinische Therapie, kann aber eine wohltuende Ergänzung im Alltag sein – vor allem, wenn es regelmäßig praktiziert wird. Verantwortlich dafür sind unter anderem Terpene, also Botenstoffe, die Bäume abgeben und die unser Nervensystem beruhigend beeinflussen können. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen – insbesondere aus Japan, Südkorea und Europa – deuten darauf hin, dass regelmäßiges Waldbaden positive Auswirkungen auf Körper und Geist haben kann.
Shinrin Yoku – Waldbaden auf Japanisch
Der Begriff Shinrin Yoku stammt aus dem Japanischen und bedeutet wörtlich übersetzt „Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes“ oder schlicht „Waldbaden“. Dabei geht es nicht ums Schwimmen oder Wandern, sondern um ein bewusstes, entschleunigtes Verweilen im Wald mit allen Sinnen – Riechen, Hören, Fühlen, Sehen und manchmal auch Schmecken.
Die Methode selbst wurde Anfang der 1980er Jahre entwickelt – als Antwort auf die stark steigenden Stress- und Erkrankungsraten in der japanischen Bevölkerung. Die japanische Forstbehörde etablierte das Waldbaden als offizielle Maßnahme zur Gesundheitsprävention, unterstützt durch medizinische Studien, die die positiven Effekte auf Körper und Psyche belegen konnten.
Den Wald erleben – und weitergeben
Wer das Waldbaden nicht nur für sich entdecken, sondern auch vertiefen oder an andere weitergeben möchte, hat viele Möglichkeiten – oft sogar direkt vor der Haustür. In vielen Städten und Regionen werden regelmäßig Kurse angeboten, in denen du die wohltuende Atmosphäre des Waldes durch achtsame Spaziergänge und kleine Rituale erleben kannst. Besonders bereichernd ist es, sich bei einer geführten Waldbaden-Tour von einer Kursleiterin oder einem Kursleiter begleiten zu lassen. Diese führen dich nicht nur durch den Wald, sondern auch in eine tiefere Verbindung zur Natur – und letztlich zu dir selbst.
Wer andere Menschen für das Waldbaden begeistern möchte, findet heute vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten – zum Beispiel beim Bundesverband Waldbaden e.V.
Eine, die diesen Weg nicht nur als zertifizierte Kursleiterin, sondern auch mit großer persönlicher Hingabe geht, ist Annette Bernjus. Sie begleitet Menschen in ihren Kursen – und lebt das Waldbaden mit ganzem Herzen. In unserem Gespräch hat sie eindrucksvoll geschildert, wie sehr diese Praxis ihr eigenes Leben bereichert hat.
Der Wald erwartet nichts von uns. Wir dürfen einfach sein. –Annette Bernjus–
Mit offenen Sinnen im Wald – Annette Bernjus über das Waldbaden
Für Annette Bernjus begann die Faszination für das Waldbaden mit dem japanischen Konzept des Shinrin Yoku – dem bewussten Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes. Seit 2014 integriert sie Waldbaden in ihre Qigong- und Taijiquan-Gruppen und hat darüber hinaus eigene Ausbildungen und Kolumnen zu diesem Thema entwickelt.
Für sie bedeutet Waldbaden vor allem eines: bewusstes Ankommen und Innehalten. Es geht nicht darum, einfach durch den Wald zu gehen, sondern seine Stille, Lebendigkeit und „Sprache“ wahrzunehmen. Der Wald stellt keine Erwartungen – er lädt dazu ein, einfach zu sein. So beruhigen sich die Gedanken, der Atem wird ruhiger, und eine tiefe Verbindung zu sich selbst und zur Natur kann entstehen.
Ein wichtiger Aspekt ist für sie das Staunen: Waldbaden soll spielerisch erlebt werden. Es sind die kleinen Momente – das Berühren von Moos, das Lauschen des Vogelgesangs, das Lichtspiel zwischen den Blättern.
Annette Bernjus sieht im Waldbaden eine Möglichkeit, die oft verlorene Verbindung zur Natur wiederzufinden – mit heilsamer Wirkung für den Menschen und zugleich als Beitrag zum Naturschutz. Wer neu einsteigt, sollte sich ohne Erwartungen und ohne Eile auf den Wald einlassen, sich Zeit nehmen und die Sinne bewusst öffnen, rät sie.
Mit Blick auf die Zukunft betont sie, dass Waldbaden in einer zunehmend beschleunigten Welt immer bedeutender wird. Gleichzeitig wünscht sie sich, dass diese Praxis ihre Leichtigkeit und Ungezwungenheit bewahrt – als eine Quelle der Heilung und Lebensfreude.
Der Duft des Waldes – eine natürliche Umarmung
Kennst du diesen besonderen Moment im Wald, wenn dir plötzlich auffällt, wie unglaublich gut es dort duftet? Der Geruch von frischem Moos, feuchter Erde und Tannennadeln wirkt fast wie eine sanfte Umarmung, die Körper und Geist entspannt. Beim langsamen Gehen und bewussten Atmen nimmst du diese Düfte tief in dich auf – sie sind wie ein Balsam für die Seele und können dir helfen, Ruhe zu finden und dein inneres Gleichgewicht zu stärken.
Diese wohltuenden Düfte stammen von Terpenen, natürlichen organischen Verbindungen, die in vielen Pflanzen und Bäumen vorkommen. Terpene sind Hauptbestandteil der ätherischen Öle, die Pflanzen produzieren – nicht nur, um sich vor Schädlingen zu schützen, sondern auch, um die Umwelt auf vielfältige Weise zu beeinflussen. Für uns Menschen sind Terpene besonders interessant, weil einige von ihnen beruhigend, stressreduzierend oder stimmungsaufhellend wirken.
Wenn wir unsere Waldökosysteme bewahren, bietet der Wald uns in wilden Zeiten einen Ort der Beständigkeit. –Sven Selbert–
Der Wald als Rückzugsort – Sven Selbert über Naturverbundenheit und Achtsamkeit
Ich unterhalte mich mit Sven Selbert, der beim NABU Deutschland tätig ist. Er kennt die wohltuende Wirkung des Waldes nicht nur aus beruflicher Sicht, sondern auch aus eigener Erfahrung. Viele Jahre hat er im Wald gearbeitet – ein Lebensraum, zu dem er eine besondere Verbindung aufgebaut hat. Besonders in herausfordernden Lebensphasen wurde der Wald für ihn mehr als nur ein Arbeitsplatz: ein Ort der Ruhe, der Orientierung und der inneren Einkehr.
Für ihn ist Waldbaden eine einfache und gleichzeitig tiefgreifende Möglichkeit, dem stressgeprägten Alltag zu entkommen. „Man muss nicht stundenlang meditieren – es reicht schon ein bewusster Spaziergang, das Spüren von Waldgerüchen, Bewegung und die Lust, sich selbst wieder wahrzunehmen“, sagt er. Schon der Gedanke daran, rauszugehen, könne etwas im Inneren bewegen.
Darüber hinaus versteht Sven Selbert das Waldbaden auch als gelebten Naturschutz. „Wer achtsam im Wald unterwegs ist, lernt, ihn zu schätzen – und wird ihn schützen wollen.“ Es gehe nicht darum, den Wald als Event-Ort zu inszenieren, sondern ihn als stillen Raum zu erleben – ohne Lärm, ohne Ablenkung, dafür mit offenen Sinnen.
Mit Blick in die Zukunft wünscht er sich, dass Waldbaden so bleibt, wie es heute ist: frei zugänglich, ehrlich und wohltuend. „Eine Handvoll Erde aus dem Buchenwald riecht nach Kindheit“, sagt er – ein Bild, das zeigt, wie tief die Verbindung zum Wald gehen kann. Und wie wichtig es ist, sie zu bewahren.
Waldbaden ganzjährig: Die wechselnden Gesichter des Waldes
Der Wald verändert sich mit den Jahreszeiten – und mit ihm auch das Erlebnis beim Waldbaden. Im Frühling erwacht die Natur neu: Zarte Blätter sprießen, die Luft ist erfüllt von frischen Düften und Vogelgesang. Im Sommer spenden dichte Baumkronen Schatten und das Rascheln der Blätter wirkt beruhigend. Der Herbst überrascht mit seinem bunten Farbenmeer, dem Duft von feuchtem Laub und einer besonderen Klarheit in der Luft.
Im Winter zeigt sich der Wald oft still und reduziert, mit frostigen Luftzügen und einem fast meditativen Schweigen. Jede Jahreszeit lädt auf ihre Weise dazu ein, ganz bewusst wahrzunehmen und sich auf die unterschiedlichen Stimmungen einzulassen – so wird Waldbaden zum ganzjährigen Begleiter für Körper und Seele.
Orte und Angebote: Wo Waldbaden erlebbar wird
Es gibt inzwischen zahlreiche Orte, die gezielt Ruhezonen im Wald anlegen, um Besucher:innen bewusste Naturerfahrungen zu ermöglichen. Im hessischen Bad Schwalbach etwa führt ein ausgeschilderter Achtsamkeitspfad durch den Kurpark, in Rheinland-Pfalz laden Waldsofas und Hängematten im Nationalpark Hunsrück-Hochwald zum Verweilen ein, in Baden-Württemberg gibt es Naturerlebnispfade und in Bayern entstehen vermehrt Waldbadepfade mit Infotafeln und Stationen zum Innehalten.
Auch die Gemeinde Oberreute im Allgäu hat sich auf diesen Weg gemacht. 2018 entstand dort die Idee für ein eigenes Waldbaden-Areal, das 2022 fertiggestellt wurde. Marina Hartmann erzählte mir mehr darüber.
Der Wald und seine heilende Wirkung werden in unserer schnelllebigen Zeit immer eine wichtige Rolle spielen. –Marina Hartmann–
Ein Ort zum Innehalten – Marina Hartmann über Waldbaden im Allgäu
Marina Hartmann arbeitet für die Gästeinformation der Gemeinde Oberreute. Sie informiert Gäste über das Waldbaden Angebot – und ist selbst begeisterte Waldbadende. Für sie ist Waldbaden weit mehr als bloßer Stressabbau: Es ist ein Weg, sich selbst zu spüren, zur Ruhe zu kommen und die Natur mit allen Sinnen wahrzunehmen.
Im Luftkurort Oberreute, umgeben von ausgedehnten Wäldern und Wiesen, entstand 2018 die Idee, ein eigenes Waldbaden-Areal zu schaffen. Das idyllische Gelände mit Hängematten, „Himmelsguckerbänken“, einer „Summtonne“ und einem Waldsofa wurde 2022 fertiggestellt. Es ist Teil eines regionalen Weißtannen-Projekts und wurde von einem engagierten Arbeitskreis aus Bürger:innen sowie Vertreter:innen der Gemeinde und des Tourismus entwickelt. Ein Waldeigentümer stellte dafür großzügig sein Grundstück zur Verfügung.
„Waldbaden hilft schnell beim Entschleunigen, wenn man sich darauf einlässt“, sagt Marina Hartmann. Ergänzend bietet die Gemeinde regelmäßig geführte Spaziergänge mit Yoga-Elementen an – für Erwachsene ebenso wie für Kinder im Rahmen des Ferienprogramms. Die Verbindung von Waldbaden und Yoga-Chakren schafft dabei besondere Momente der Achtsamkeit und inneren Balance.
Was ich über das Waldbaden gelernt habe
In meinen Gesprächen mit Menschen, die das Waldbaden auf ganz unterschiedliche Weise leben, wurde mir eines klar: Waldbaden ist weit mehr als eine Methode oder Technik – es ist eine Haltung dem Leben gegenüber. Eine Einladung, die Natur mit allen Sinnen zu erleben, den Moment bewusst wahrzunehmen und für eine Weile aus dem Getriebensein des Alltags auszusteigen.
Der Wald wird dabei zu einem Ort der Ruhe, des Ankommens und der Geborgenheit – fernab von Termindruck, Geräuschkulisse und ständiger Erreichbarkeit. Dieses „Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes“, wie es das japanische Shinrin Yoku beschreibt, hilft, Stress abzubauen, innere Balance zu finden und neue Kraft zu schöpfen.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Terpene – natürliche Duftstoffe, die von Bäumen abgegeben werden und nachweislich beruhigend auf unser Nervensystem wirken. Vielleicht ist es dieser besondere Duft des Waldes, der sich anfühlt wie eine sanfte Umarmung.
Waldbaden kann jeder auf seine eigene Weise erleben – beim langsamen Gehen, beim achtsamen Lauschen oder einfach beim Sitzen und Spüren. Für alle, die sich dabei begleiten lassen möchten, bieten geführte Kurse eine wunderbare Möglichkeit, sich behutsam heranzutasten.
Was ich mitnehme: Waldbaden ist für alle da. Es braucht keine Ausrüstung, kein Ziel und kein Vorwissen – nur ein wenig Zeit, Offenheit und die Bereitschaft, sich einzulassen. Der Wald erwartet nichts von uns. Er ist einfach da – still, lebendig und voller Leben. Und genau das macht ihn zu einem der schönsten Rückzugsorte, die wir haben.
Zahlen, Daten, Fakten
STRESSREDUKTION DURCH WALDBADEN
Studien zeigen, dass Waldbaden den Cortisolspiegel – also das Stresshormon – senken und gleichzeitig das Immunsystem stärken kann. Darüber hinaus konnte eine Studie der University of Michigan belegen, dass Zeit in der Natur die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert – insbesondere Konzentration und Kreativität profitieren nachweislich von Aufenthalten im Grünen.
Waldbaden in Oberreute/Allgäu:
www.oberreute.de – Waldbaden
Artikel des NABU zum Thema "Waldbaden":
nabu.de – "Zu wenig Natur macht krank"
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ABBILDUNGEN
Beitragsbild © Frederik Sams, restliche Abbildungen Marie Breitenbach, Marina Hartmann, Frederik Sams (siehe Bildunterzeilen)
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